Edward Lee – Das Schwein

Überlege dir gut, ob du die Tür zu Edward Lees Welt wirklich öffnen willst.

Man nehme:

– einen skrupellosen Pornoproduzenten
– ein auf Perversitäten spezialisiertes Studio mitten in der Einöde
– zwei abgefuckte, drogenabhängige Prostituierte
– dumme, aber liebenswerte Hinterwäldler
– einen naiven Filmstudenten aus der Großstadt
– eine sexsüchtige Sektenbraut
– einen allzeit willigen Schäferhund
– ein Hausschwein mit besonderen Talenten

Und fertig ist die größte literarische Sauerei des Jahrhunderts.

 

Viel Gejammer, viel Geheule, viel Kritik. So beschreibt man Das Schwein wohl am ehrlichsten. Im Bereich der extremen Literatur (als wertfreie, sachliche Aussage) gibt es wohl nur sehr wenig Bücher, die derart zerfleischt und gleichzeitig angeprangert wurden. Wo beginnt nun Literatur und wo endet sie – und bedeutet dieses (vermeintliche) Ende gleichzeitig den Anfang von Schund?

Um nun hier keine Grundsatzdiskussionen über Literatur (und was man dazu zählen kann/darf/muss und was nicht) anzuheizen, bleibe ich kurzfristig auf der rein sachlichen Ebene: ja, es ist Literatur – es handelt sich um eine schriftliche Aufzeichnung! Alles andere, was dann folgt ist subjektiv – auch wenn es so manchem ich-besoffenen Wochenendprediger nicht ins Weltbild passt! Wir reden hier nicht von irgendwelcher Horror-Literatur, sondern von Edward Lee! Bleiben wir also bitte einmal mit der Kirche im Dorf! Man kann ihn mögen oder nicht – wer nun aber Lee mit anspruchsvoller Literatur, Prosadichtung und Poesie vergleicht, sollte sich besser seinem geistigen Unvermögen widmen, als die Zeit darauf zu verschwenden sich als einstigen Masturbationsunfall zu deklarieren!

Lee zeigt (einmal wieder) was möglich ist. Und auch wenn Mamas Titte dem Hobby-Geek näher ist, als die Unbarmherzigkeit der Realität: die Wirklichkeit hört bei Das Schwein noch lange nicht auf!

Nun aber genug gepredigt und endlich zum Buch!
Es handelt sich hierbei um den ersten Band der Festa Extrem Reihe. Ob man nun allerdings gerade mit diesem Band in die Welt der extremen Literatur von Festa eintreten sollte, gilt es zu überdenken – da gibt es durchaus weniger „direktes“ Material.

Zu aller erst möchte ich es mir erlauben, ein wenig mehr auf den Klappentext einzugehen::

• einen skrupellosen Pornoproduzenten
der gute, alte Vinchetti…

• ein auf Perversitäten spezialisiertes Studio mitten in der Einöde
nennen wir es lieber runtergekommene Hütte im Nirgendwo…

• zwei abgefuckte, drogenabhängige Prostituierte
was sonst…?

• dumme, aber liebenswerte Hinterwäldler
nunja… kommt sehr auf die Perspektive an…

• einen naiven Filmstudenten aus der Großstadt
und nochmal: was sonst…?!

• eine sexsüchtige Sektenbraut
ich würde nun nicht grundsätzlich jede Glaubensgemeinschaft als Sekte betiteln…

• einen allzeit willigen Schäferhund
würde die Sache ja schon beinahe zu einfach machen…

• ein Hausschwein mit besonderen Talenten
eine wirklich miese und doppeldeutige Umschreibung!

Zur Geschichte:
das Buch spielt in den späten 70er Jahren in (wer hätte es gedacht?) Amerika. Die Hauptfigur, dessen Schicksal man verfolgt (je nach Schmerzgrenze gelegentlich auch verfolgen muss) hört auf den Namen Leonard D‘arava.
Leonard ist ein kleiner, unscheinbarer, schwächlicher Normalo. Ein Regisseur, der davon träumt etwas Großes zu schaffen – und den dieser Traum in die Arme der Mafia treibt.
Was dann folgt ist Blut und Sperma – viel Blut und viel Sperma! Vergewaltigung, Sodomie, Nekrophilie, Snuff, Splatter, Horror – was Lee hier geschrieben hat, darf sich schon als „genial“ betitelt sehen!
Der Anfang ist etwas ungezügelt: man wird hier direkt in ein gegenwärtiges Geschehen geschmissen, ohne die Hintergründe zu kennen. Diese vergangenen Ereignisse, welche nun zu der gegenwärtigen „Handlung“ (eigentlich eine recht eigentümliche Formulierung für das, was einen bereits auf den ersten Seiten erwartet) geführt haben, bilden nun einen Großteil von Das Schwein; sprich: was hat dazu geführt, dass Leonard in die Hände der Mafia gefallen ist und man nun eben bereits auf den ersten Seiten den Kontakt mit einem Schwein erfahren darf.

Lee sprengt hier eine Grenze, indem er sich in einer Begrenzung (frei) bewegt. Der Großteil des Buchs bewegt sich in einer (möglichen) reellen Welt. Die Gewaltexzesse jedweder Natur überschreiten bis gegen Ende des Buchs nur äußerst selten die Pforten in die Horror-Bizarro-Sektion; Lee konfrontiert hier mit unbarmherziger Möglichkeit, anstatt dem Leser die Schleier des Horrors als Schlupfwinkel zu bieten.
Das Schwein will keine Charaktere ausarbeiten, will keine Beziehung entstehen lassen oder tiefsinnige Botschaften vermitteln.
Das Schwein ist bloß, nackt, es ist anstößig und unverhohlen… es ist so verdammt echt! Hier geht es einzig um Konfrontation, nicht Einbeziehung! Man muss bereit sein, sich hier auf eine, fernab des gewohnten Genre, nackte und kalte Realität einzulassen, die das Weltbild einer wohlbehüteten Seele durchaus nicht zu fassen vermag.

Blutig? Ja!
Pervers? Gerne!
Obszön? Her damit!
Billig? Eben nicht! Und das ist die Kunst, die Lee einfach beherrscht! Widerlich, entartet, asozial: alles darf man ihm (und diesem Massaker in Buchform) vorwerfen, doch nie gleitet es in einen der vielen Groschenromane ab!
Die anatomischen Möglichkeiten, die hier mitunter sehr detailliert beschrieben werden, verleiten den Leser (oder soll man schon von „Opfer“ sprechen) doch gelegentlich dazu, das Abendessen zu verschieben.
Das Ende ist überraschend anders. Angenehm unerwartet; verleiht dem ganzen einfach diese typische „Lee-Note“. Und jedem, dem der schwarze britische Humor noch zu seicht ist, wird sich durch Edward Lee‘s „Komik“ schnell verstanden fühlen.

Das Schwein ist kein klassischer Horror-Roman, kein reiner Splatterpunk. Es ist eine blutige Sexorgie, ein morbide-obzöner Thriller und eine bizarre Mystery-Erzählung. Es reizt, überschreitet, definiert – eine ungezügelte Achterbahnfahrt durch die Darmwindungen. Es ist Kunst – und Kunst darf!

Nun muss selbstverständlich auch einmal Herrn Festa ein großer Dank ausgesprochen werden!
Das Schwein ist eines dieser Bücher, die ohne ihn und seinen Verlag nie die Chance erhalten hätten auch in Deutschland als Übersetzung auf den Markt zu gelangen.

Das Buch selbst ist in gewohnter Qualität: die Bindung ist vernünftig (man hält nicht gleich alle Einzelseiten in der Hand) und ein paar nette Ideen, wie beispielsweise Flecken, die jede Seitenzahl umranden (und bei denen es nicht sicherlich nicht um Kaffee handeln soll) spiegeln ein wenig der Leidenschaft vom Festa-Verlag wieder.
Das Cover ist für meinen Geschmack zwar wirklich gut gelungen, nur hat es eher symbolisch mit dem Buch etwas zu tun – das aber nur am Rande.

 

 

Edward Lee - Das Schwein

 

Autor:
Titel:
original Titel:
Übersetzer:
Markus Mäurer
Auflage:
2. Auflage
(Mai 2014)
Seitenzahl:
160 Seiten
Verlag:
Ausgabe:
Taschenbuch
(auch als eBook erhältlich)
ISBN:
ohne ISBN
(Festa Extrem – ab 18 Jahre)

 

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Verfasst von:

Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn

Ein Kommentar

  1. […] Film erinnert ein wenig an Lee’s Das Schwein: aus erbarmungslosem Splatterpunk gestaltet sich das Ende überraschend anders und wechselt in den […]

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