»Da draußen fressen sie sich gegenseitig auf.«
Abgeschnitten von der Außenwelt, isoliert, sich selbst überlassen.
Es hatte ein TV-Spektakel sein sollen. Sieben Kandidaten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, jeder von ihnen mit einem Geheimnis, in einem Container. Dutzende Kameras, die jede ihrer Bewegungen verfolgen und selbst die intimsten Momente festhalten. Erotik, Leidenschaft, Hinterhältigkeit und Intrigen. Die Einschaltquoten waren hoch, das Publikum begeistert. 68 Tage ging es gut, Zuschauer und Kandidaten fieberten dem großen Finale entgegen…
Doch dann brach alles zusammen.
»Hier drinnen auch.«
Sieben Menschen – Toto, Barbara, Zippo, Jenny, Lilith, Dominique und Ben – in einem Container; 24 Stunden von Kameras überwacht: Big Brother is watching you.
Irgendetwas ist draußen passiert – der Kontakt ist komplett abgebrochen.
Sieben Menschen in einem Container, abgeschnitten von der Außenwelt, die die Ängste der Ungewissheit unheilvoll gebärt.
Eine Gruppe, die unaufhaltsam im zähen Schleim des hilflosen Zweifels zu ersticken droht.
Sieben Charaktere.
Sieben Ängste.
Eine Hölle.
Vincent Voss hat mich mit „Wasser“ in seinen Bann gezogen, mit „Faulfleisch“ endgültig als Fan gewonnen und mir mit „Frischfleisch“ einfach Spaß gemacht. Mit „Tag 78“ gab es jetzt eine Novelle von ihm.
Auf gerade einmal 95 Seiten eine Geschichte zu erzählen ist schwer.
Auf gerade einmal 95 Seiten eine Beziehung zu den Protagonisten aufzubauen ist kompliziert.
Auf gerade einmal 95 Seiten den Leser derart in seinen Bann zu ziehen, dass dieser selbst sein Dasein in dem Container fristet, zum hilflosen Voyeur entartet, der den süßlichen Odem der Verwesung förmlich zu schmecken weiß – das ist Vincent Voss!
Unter dem Deckmantel des Big-Brother-Phänomens geziert mit einer Zombie-Apokalypse entsinnt Voss hier eine komprimierte Charakterstudie der Gruppendynamik – einer sozialen Möglichkeit, wie sie bereits vereinzelt gelebt wird.
Typisch Voss, ist es nicht das geschriebene Wort, das einem den Schweiss auf die Stirn treibt – es sind die Bilder, die Illusionen, die Gedanken, geschwängert von der unheilvollen Atmosphäre, die eben nur ein Vincent Voss zu schenken weiß.
Was ich an Voss so mag ist, dass man seine Bücher tausendfach interpretieren oder einfach als Horror-Roman genießen kann – so oder so wird man allerdings nicht umhin kommen, noch lange darüber nachzudenken…
Ursprüngliches Meckern auf höchstem Niveau: das Ende!
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, wünschte ich mir das Ende doch fulminanter. Zerreissender. Beinahe schon masochistisch, wollte ich geradezu, dass es schmerzt, dass es zieht und reisst – aber nichts…
…dachte ich.
Denn kaum sind die ersten Stunden vergangen, kaum, dass ich noch immer über dieses Buch, über dieses Ende nachdenke, merke ich, dass es doch haargenau so sein muss! Dass die gewünschte Theatralik, doch nur zu einem Hollywood-Effekt, denn zu einem ungeschönten, nackten Ende geführt hätte. So spiegelt es die Sterilität der modernen Sozialität, den pervertierten Voyeurismus der Gegenwart wider: keine Dramatik, keine Empathie – stattdessen banalisierte Resignation; Verrohung… und den Kern der Trauer: Gefühllosigkeit.
Was bleibt mir nun anderes übrig, als einem meiner liebsten deutschen Horror-Autoren erneut für diese Schaffenskunst zu danken – Vincent Voss, auch wenn ich immer noch nicht „André“ bin (eine kleine Geschichte, die bei meinem ersten persönlichen Treffen mit Herrn Voss stattgefunden hat), ein Fanboy (muss ich ab jetzt auch mit Unterwäsche nach Vincent Voss schmeissen?!) bin ich trotzdem!
Einen riesen Dank auch an den Verlag, mir dieses Buch überhaupt ermöglicht zu haben!
Amrûn hat sich spätestens mit „Tag 78“ einen neuen und treuen Leser für ihr Verlagsprogramm verdient!
Die anderen Bände von Zombie Zone Germany stehen schon auf meiner Wunschliste – neben so ein paar weiteren „Leckerbissen“ der Chiemgauer!
Die Geschichte ist fesselnd, der Autor genial, das Cover gefällt und der Verlag eine coole Truppe (wie ich auf der LBM 2017 erfahren durfte)…
…und zu guter Letzt wurde aus einer geplanten Kurzmeinung eine ganze Rezension; also muss ja doch irgendwas dran sein!
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