Peking, in der Zukunft: Um den knapp bemessenen Raum möglichst effizient zu nutzen, wurde die Stadt in drei Sektoren unterteilt, die sich mittels einer raffinierten Konstruktion platzsparend drehen, in der Erde versenken und zusammenfalten lassen. Nach einem strengen Plan wird immer nur ein Sektor entfaltet, damit die Menschen darin ihren Tätigkeiten nachgehen können. Ein Kontakt über die Sektorengrenzen hinweg ist untersagt.
Lao Dao, Arbeiter in einer Müllentsorgungsanlage im Dritten Sektor, übernimmt einen abenteuerlichen Botengang in die abgeschirmte Erste Zone – und entdeckt ein düsteres Geheimnis hinter den faltbaren Mauern dieser schönen neuen Welt.
Manchmal braucht es eben Zeit – oder, wie zumindest der Volksmund zu behaupten weiß, will gut Ding Weile haben.
So oder so traf dieser Umstand für mich in Bezug auf Hao Jingfangs Peking falten voll zu.
Peking falten.
Der Titel: interessant
Das Cover: die Neugierde, wie die Fantasie stimulierend.
Das Herkunftsland der Autorin: äußerst vielversprechend – gerade im Bereich der Science Fiction.
Der Hugo-Award: natürlich ein Aushängeschild.
Der Klappentext verrät nun zwar den Inhalt des Buchs, doch die Aussage bleibt zu suchen – wartet auf ihre Findung in der Erzählung, verbirgt sich zwischen den Zeilen und doch will sie nicht gesucht werden: sie offenbart sich derart beiläufig, dass sie sich beinahe unbemerkt in die Alltäglichkeit verläuft.
Jingfang zaubert nicht – sie artikuliert lediglich jene Facette des Humanismus, welche nicht ausgesprochen werden soll. Benennt den Wahnsinn, dem wir uns devot hingeben und ihn als „Normalität“ erträglich gestalten.
Ich lese. Will greifen – und bekomme es nicht gefasst! Sehe es, spüre es förmlich, wie es meine Haut streift, gleichwohl nur Schemen, die sich auflösen wie ein Hauch der Illusion.
Ich lese es, sehe es förmlich vor meinen Augen, wie es sich materialisiert, Gestalt bekommt und mich schon beinahe anspringen will! Sehe mich als Zerrspiegel der Realität, die ich als solche nicht kennen darf – nicht kennen soll.
Ich lese und begreife.
Ich lese, was ich lebe und lebe, was ich lese – die nächste Faltung steht an.
Das Ende zeigt sich offen – doch nicht mit der gewohnten Effekthascherei, nicht diesem einen Cliffhanger oder der individuellen Phantasie hingebend, sondern andauernd. In der Schlichtheit kaum als klares Ereignis wahrzunehmen, bleibt es die Maskerade der Resignation: Tat als Akzeptanz.
Ein Buch, dessen Inhalt dem Titel gerecht wird. Ein Buch, dessen Inhalt gefaltet – sprich: entfaltet werden muss!
Eine Erzählung vom Leben, der gegenwärtigen Zukunft, der vergangenen Gegenwart, dem Bestand und der Aufgabe.
Vielleicht eine kleine Hommage an die Menschheit, vielleicht auch tatsächlich nur ein Ausdruck der Gegenwart.
So oder so ein Buch über die Gnade. Und diese nicht im Lügenmantel der Verständlichkeit, sondern in all der Unerbittlichkeit des Erbarmens.
Keine Kritik, sondern eine Benennung. Keine Formulierung, sondern eine Beschreibung. Kein Urteil, sondern ein Geständnis.
Dystopie? – welcome to the real world!
Keine "fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung mit negativem Ausgang" (Wikipedia) – eine realistische Fiktion, welche die Gegenwart als Zukunft kleidet und durch sie den Ausgang relativiert.
Ein ungeschliffener Diamant, der in seiner Natürlichkeit schöner ist, als jeder Schliff.
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