Mark Freier entblößt sich in seinen Bildern als vollblütiger Romantiker alter Schule: Auch in zeitgemäßer Optik atmen seine düsteren Tableaus den Geist des klassischen Schauers, die Sehnsucht nach wohliger Finsternis. Unter der Kosmetik modernen Handwerkszeugs steckt ein Illustrator des 19. Jahrhunderts, keiner, der nur bebildert, sondern einer, der erzählt.
Kai Meyer
Tobias Bachmann, Barbara Büchner, Frank G. Gerigk, Faye Hell, Florian Hilleberg, Jörg Kleudgen, Markus K. Korb, Guido Krain, David Seinsche und Vincent Voss verfassten, inspiriert von den Werken des Künstlers, düster-phantastische Geschichten. Aber auch Mark Freier ließ es sich nicht nehmen, eine seiner Grafiken mit einem Text zu veredeln.
Alisha Bionda, die schon über ein Jahrzehnt mit dem Künstler zusammenarbeitet, hat alles zu einem bibliophilen Gespinst zusammengefasst.
Mit Dark Poems vereint Alisha Bionda elf Autoren, die, inspiriert von den düsteren Werken von Mark Freier, die unbeschienene Seite der Poesie darlegen. Erleben darf man Novellen von:
• Barbara Büchner
• Vincent Voss
• Jörg Kleudgen
• David Seinsche
• Faye Hell
• Markus K. Korb
• Florian Hilleberg
• Tobias Bachmann
• Mark Freier
• Frank G. Gerigk
• Guido Krain
Barbara Büchner – Die Männerfresserin (14 Seiten)
Eine Geschichte in der Geschichte, erzählt von Mr. Hewitt, einem Erforscher es Übersinnlichen:
Noel und seine Mutter finden immer neue Herren, die sich ihrer "Obhut" annehmen. Dass diese Gönner alsbald versterben ist auf das "gute Händchen" von Madame zurückzuführen, die der Zufälligkeit eine gewisse Bestimmung zu geben scheint…
Barbara Büchner schenkt hier eine Novelle, die weniger von der Handlung, als der Sprache zu Leben scheint. Den Inhalt im ersten Moment überhaupt nicht wahrnehmend, schwelgt man in einer phantastischen Kreation aus wortgeschaffenen Gemälden, die den Leser in eine Handlung, in eine, dem Buchtitel folgend, dunkle Poesie geleiten…
Vincent Voss – Nachbarn (12 Seiten)
Die lieben Nachbarn… . Also eigentlich sind die neuen Nachbarn Sandro ja schon von Anfang an suspekt. Die Gerüche und Geräusche, die bisweilen aus der Wohnung dringen, machen die Sache nicht gerade besser. Und dann auch noch die Fliegen…
Ich liebe diesen dreckig-grinsenden Horror von Vincent Voss einfach! Mit (s)einer herrlichen Selbstverständlichkeit entartet er die Banalität des Alltags zu dieser einen Unmöglichkeit – zu diesem nackten Horror! Und, als wäre die reine Tat, welche Voss dem Leser roh serviert nicht schon genug, lässt er die Folge, die Resonanz des Unausweichlichen, als Samen im nahrhaften Boden der Phantasie.
Und jetzt geht’s erstmal zu den Nachbarn, schauen, was da so poltert…!
Jörg Kleudgen – Narbenherz (26 Seiten)
Ein Herzinfarkt. Banal wie endgültig.
Es war ein Herzinfarkt der das Leben von Frank einfach beendete…
…zu beenden schien.
Denn als er wieder zu sich kam, schien er äußerst lebendig! Wo auch immer er sich befand – und warum auch immer der Fremde ihn Narbenherz nannte…
Aus der Tristesse der Alltäglichkeit entführt Jörg Kleudgen den Leser in einen rasanten Krimi im Gewand von Al Capone, wirft ihn förmlich in die Eskalation der Übernatürlichkeit und verlässt ihn schließlich mit einer beinahe schon entspannenden Relativierung des (Ab)Lebens.
Ein Crime-Noir im Horror-Maßanzug, der im klassischen Stil mit einem klassischen Setting aufwartet.
David Seinsche – Lapua (14 Seiten)
Tuomas hat sie gesehen. Er ist sich ganz sicher! Man könnte es auf das Hagelkorn schieben, das ihm am Kopf getroffen hat, aber so einfach ist es nicht. Sie war da: Die Frau in Weiß. Und plötzlich war sie verschwunden. Auch wenn sein Vater ihm nicht zu glauben scheint, weiß Tuomas, was er gesehen hat…
David Seinsche entführt den Leser in eine Art von finnischer Folklore (eventuell sogar tatsächlich eine finnische Folklore?).
So schön die Reise mit Tuomas auch ist, entfernt sie sich zum einen zu sehr von der Illustration: mir fehlt schlichtweg die Weite; stattdessen "informiert" David Seinsche schon beinahe – für mich zu punktuell und direkt.
Zum anderen verliert die Novelle gerade gegen Ende zuviel ihrer Möglichkeit und bettet sich, gleichwohl sehr bequem, in der Mäßigkeit.
Nichts desto trotz eine hübsche und kurzweilige Mystery-Novelle.
Faye Hell – Alma Mater (15 Seiten)
Cathrin ist als Psychologin einiges gewöhnt, doch ihr neuster Patient, Damian, ist schon etwas besonderes!
Nicht nur, dass er einfach so in der Praxis gestanden und um einen Termin gebeten hat.
Nicht nur, dass er scheinbar fest daran glaubt, was er erzählt – ja, es förmlich zu leben scheint.
Er hat auch etwas anziehendes – irgendetwas, das Cathrin nicht loslässt…
Sie könnte sich glatt in ihn verlieben…
Während ich Alma Mater gelesen habe, dachte ich mir, dass es hier zwei Möglichkeiten gibt: entweder Faye Hell kann es wirklich, oder es wird ein Fiasko werden. Kurz und knapp: sie kann es wirklich!
Sie kratzt nicht an der Grenze zu einer larmoyanten Theatralik, sondern tanzt auf eben dieser Grenze einen grotesken Tanz, so dass es zu keiner Sekunde triefend wird, sondern gesättigt – großes Kino!
Markus K. Korb – Die dunkelnde Schwärze (34 Seiten)
Sandra und Heiko stehen auf den Kick! Naja, insbesondere Heiko sieht sich gerne als eine Art Geisterjäger. Da ist es ja geradezu als Pflicht zu betrachten in das alte Herrenhaus, Harlaxton Manor, zu fahren, um auf Geisterjagd zu gehen.
Lady Godiwan, die Besitzerin des Anwesens, erzählt den beiden die Geschichte um das Anwesen und warnt sie auch – doch wer lässt sich von so etwas schon beeindrucken…?
Alleine der Titel ist schon so herrlich – dieses tastbare Nichts, diese finsteren Schwaden, die als zähe Unbeschreiblichkeit über den Boden kriechen…
Korb orientiert sich hier an einem klassischen Setting, welches er bis zuletzt aufrecht zu halten weiß. Und eben dieser Schluss, weiß eine böse Überraschung bereit zu halten…
Florian Hilleberg – Familiaris (16 Seiten)
Gouda ist nicht irgendeine Katze, sondern der beste Freund von Felix und ein festes Familienmitglied. Natürlich verschwindet Gouda also auch nicht einfach so, sondern es muss etwas passiert sein.
Andreas Meiringer, ein praktizierender Satanist, braucht Opfergaben, für seinen Meister. Katzen treffen sich da eben ganz gut – Katzen wie Gouda…
Der erste und bisher einzige Katzen-Krimi, den ich bis dato gelesen habe ist Felidae.
Der erste und bisher einzige Katzen-Horror, den ich gelesen habe ist Familiaris – und so untypisch diese Novelle daherkommt, so schön ist sie!
Insbesondere die Interpretation, welche Florian Hilleberg dem Leser lässt – dieses beinahe schon freche Spiel mit dem klassischen Horror und der letztlich biederen Realität, machen diese Novelle aus.
Tobias Bachmann – Spiegel der Seele (17 Seiten)
Soul ist tot. Und auch wenn es erst der zweite Blick war, der ihm die Liebe zu ihr zeigte, so ist es nicht weniger schwer sie ziehen zu lassen!
Sie war einfach besonders – sie war eben auch ganz anders, als die anderen. Ein wenig verrückt, provokant und letztlich einfach liebenswert. Doch jetzt ist sie tot – glaubt er.
Ein Roman – in diesem Glauben, diesem Gefühl, trägt Tobias Bachmann den Leser über die Seiten.
Ein Roman, der verbirgt – diese Erzählung, welche scheinbar unter den Seiten darauf wartet…
Ein Roman, der verschleiert – diese Geschichte, die mich hinter den Worten und einzelnen Buchstaben förmlich anzustarren scheint…
Ein Roman, der eigentlich gar keiner ist, sondern eine schaurig-schöne Gothic-Novelle, ein Paradoxon, eben dieser eckige Kreis, dessen Dramaturgie nicht aufgeblasen überschwappt, sondern in stiller Melancholie eine weitere Ebene der Traurigkeit schafft.
Dunkle Epik, die offenbart…
Mark Freier – Die Wiedergeburt (14 Seiten)
Exzessiv, ausschweifend und ungezügelt – das ist das Leben des "Dreigestirns", Prof. Marian van Wegen, Dr. Eisenzahn, Dr. Liebwitz und Bruno Stolinski.
Wilde Orgien, die jegliche Grenze hinter sich lassen, sollen von ihnen gefeiert werden!
Und auch noch weitere Grenzen sollen sie überschritten haben…
Jetzt kann der Typ nicht nur zeichnen, sondern auch noch schreiben…!
Es ist diese herrliche Unförmigkeit der Kunst, mit welcher Mark Freier zu betören weiß – nicht im Stil, sondern der unkommentierten Darstellung dieser.
Mark Freier nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Obszönität, tief in die Unaussprechlichkeit, welche er zwar auch keinen Namen schenkt, wohl aber zu benennen weiß.
So schwadroniert er nicht einfach über das Verlangen, sondern manifestiert es, als unbändige Schöpfung und ewig hungernden Drang und stillt schlussendlich das Bedürfnis mit dem Wissen um die Unbändigkeit der finalen Entscheidung.
Frank G. Gerigk – Sohn der Düsternis (8 Seiten)
Eine Mutter und ihr Kind – alleine.
Eine Mutter und ihr Säugling, die verlassen durch die Ungewissheit eines von den Türken belagerten Rumäniens wandern; flüchten, um dem Leben zu begegnen, nachdem sie dem Tod bereits einmal entkommen sind…
Der Beginn offeriert eine Reise, ein Ziel, welches den ursprünglichen Anfang vergessen lässt. Man begleitet die geglaubte Unschuld, schützt sie und richtet – richtet in gutem Gewissen des Halbwissens und streitet so mit den geglaubten Schützlingen.
Im Ende wächst aus der bisweilen blinden Wahrscheinlichkeit ein düsteres Erwachen, ein Neubeginn – das Erbe der ersten Blutlinie.
Guido Krain – Schwesterchens Dunkelheit (36 Seiten)
Jüngere Geschwister zählen allzu oft zum schlimmsten, was im Leben des älteren Geschwisterteils passieren kann.
Bei Tabea ist es wahrhaftiger Hass, was sie ihrer kleinen Schwester Lisa entgegen bringt – selbst nach dem Tod von dieser…
Schwesterchens Dunkelheit labt sich zu Beginn an einer unverhohlenen Groteske, schweift bisweilen weit über die Morbidität und findet sich alsbald in einer Art von Horror-Thriller.
Man spürt immer wieder die Sci-Fy-Wurzeln von Guido Krain, die sich zwar gelegentlich unwillentlich anfühlen mögen, doch nie unkontrolliert! Und so schafft er es geradezu unverhofft ein wortwörtlich "wahnsinniges" Finale zu schaffen – denn wer glaubt nicht an "Happy Ends"?
Jede Novelle gleich einem Vers und doch in sich autark und frei, bildet sich in dieser Gemeinsamkeit ein unglaublicher Epos.
Dark Poems ist eine musische Reise durch die abgewendeten Gefilde, durch jene düsteren Utopien, die in aller Stille um den Nachtmahr wissen; jene dunklen Ecken, die weniger das Licht verschlucken, als sich, wissend um den Schein, entfalten und darbieten.
Insbesondere hier findet sich die Besonderheit von Dark Poems – statt sich in Finsternis und Schwärze zu verlieren, wissen die Künstler um das Spiel des Lichtes, welches die Dunkelheit nährt und die Düsternis weckt. Wissen um den Tanz der Schatten, um die Farbenpracht der Dunkelheit und ihre Reise durch und in das Licht und schließen so den Kreis, der weder Anfang noch Ende kennt – denn so wie Mark Freier die Worte gemalt, hat jeder Autor sein Gemälde geschrieben.
Statt den einleitenden Illustrationen von Mark Freier antizipierend die Individualität zu rauben, schenken die Autoren, jene "Schattenkünstler", ungefesselte Interpretationen und freie Perspektiven, die so unendlich in das Licht zu reichen scheinen, wie es nur die Dunkelheit vermag.
Den Teil als Ganzes und das Ganze als Bestand des Gesamten – Kunst als Superlativ.
Diesem Buch gebührt mein Dank: den Autoren, der Herausgeberin, dem Illustrator und dem Verlag.
All jene haben es ermöglicht, dieses Buch in den Händen halten zu können, darin zu schwelgen & zu reisen und (hier wird die Konkurrenz mehr als schwer) die Anthologie des Jahres erleben zu dürfen!
Besonderen Dank möchte ich Vincent Voss und dem Arunya-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares aussprechen!
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