Sie musste Nathan retten – um jeden Preis!
Nachdem sich ihr sehnlicher Wunsch, mit ihrem Nathan ein Kind zu bekommen, nicht erfüllt, greift Scarlett Hayden in ihrer Verzweiflung zu einem alten Zauber: Wenn man in der Halloween-Nacht einen Wunsch in einer Kürbisfratzenflamme verbrennt, soll er sich erfüllen.
Doch in ihrer Ungeduld bricht Scarlett die wichtigste Regel: Sie wirft den kleinen Zettel mit dem großen Wunsch bereits Ende August in die Kürbisflamme und setzt so eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang: Nach einem Autounfall fällt ihr geliebter Nathan ins Koma. Von einem geheimnisvollen Wesen aus Kerzenflamme und Kürbismagie erfährt Scarlett von ihrer einzigen Chance, Nathan zu retten: Sie muss in die Herbstlande reisen und die Kürbiskönigin um Erlösung bitten.
So begibt sich Scarlett auf eine gefährliche und gleichsam fantastische Reise in die Gefilde der Länder September, Oktober und November, wo Laubdrachen und Mitternachtsraben, Fleder-Schrecken und Lygnisse, Spiegelwälder und Kürbiswichtel nur ein kleiner Teil der Dinge sind, die ihr begegnen…
Was sich erstmal nach einer Märchen-Geschichte angehaucht mit Halloween-Feeling anhört, entpuppt sich nach und nach als eine Geschichte, die sozialkritisch und psychologisch sehr feinfühlig ist. Ich sage bewusst "eine Geschichte", denn eine klassische Anthologie ist dies für mich nicht. Vier Autoren erzählen eine Geschichte, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Stilen, und doch ist diese Geschichte um Scarlett ein Ganzes.
An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich Spoiler in Buchbesprechungen und Rezensionen wirklich hasse. Dieses "Worum geht es eigentlich?" und dann die komplette Geschichte zu erzählen, mag ich überhaupt nicht. Ich will mich immer überraschen lassen und nur das nötigste über ein Buch wissen. Hier ist es für mich besonders schwer, meine Meinung zu sagen, da ich nicht Spoilern will. Und das müsste ich, um die volle Tragweite der Geschichte zu beschreiben. Deshalb will ich mich hier darauf beschränken, meine Leseeindrücke niederzuschreiben.
Fabienne Siegmund beginnt mit der ersten Geschichte und stellt Scarlett sehr behutsam vor. Ihr Stil ist sehr poetisch und erinnert mich an Märchen und lässt mich völlig in die Welt von Scarlett abtauchen. Das Thema "September" ist hier sehr gut beschrieben und spiegelt sich in den Worten und der Erzählweise wieder. Man kann den September förmlich riechen und schmecken, wenn man in die Geschichte eintaucht. Ein sehr schönes, erhabenes Leseerlebnis!
Der zweite Abschnitt, Oktober, ist von Stephanie Kempin geschrieben. Hier merkt man schon viel stärker, dass es nicht unbedingt um die vordergründige Story geht, sondern dass hier sehr viel mehr erzählt wird, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Aber wie schon gesagt: Spoiler mag ich nicht!
Das Thema wird wieder schön aufgegriffen, aber nach dem wirklich fantastisch erzählten September wirkt diese Geschichte nicht ganz so schön geschrieben. Leider kommt für mich das Oktobre-Feeling hier nicht richtig raus und der Schreibstil ist nicht ganz so abgerundet wie in der Geschichte von Fabienne Siegmund. Trotzdem ist die Erzählung gut, und man fiebert immer wieder mit den Charakteren mit. Insgesamt eine solide Erzählleistung, die aber noch ausgefeilter und subtiler sein könnte.
Die dritte und letzte Geschichte, November, ist von den Meistern des Duett-Schreibens: Vanessa Kaiser & Thomas Lohwasser. Seit ich die Beiden dieses Jahr (2017) entdeckt habe, verschlinge ich ihre Geschichten geradezu. Sie sind immer wieder für gute, gruselige und super geschriebene Geschichten gut.
Das zeigt sich auch hier. Der November verschlingt einen geradezu! Die Stimmung, der Schreibstil und die Geschichte lassen den Leser in eine düstere Umgebung eintauchen, die er eigentlich nicht sehen will, sich aber auch nicht aus ihr befreien kann. Und Scarlett kann man ja auch nicht einfach dort lassen! Die Hauptfigur der Erzählungen ist dem Leser mittlerweile so ans Herz gewachsen, dass man sie nur beschützen und vor allem bewahren möchte. In dieser Geschichte wird einem das vielleicht am deutlichsten. Der November ist ein düsteres Meisterwerk der Erzählkunst,
Nicht so poetisch wie der September, aber viel passender für diesen Monat geschrieben. Kaiser & Lohwasser sind erzählerisch auf einer Stufe mit Siegmund und verhelfen der Geschichte zu einem spannenden und wunderbaren Ende.
Insgesamt sind die Herbstlande für mich eines der besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe. Wer sehen will, was Phantastik im deutschen Sprachraum so alles zu bieten hat, und dass Phantastik nicht nur aus anderen Welten und Drachen besteht, sollte hier zugreifen. Unheimlich spannend, nie kitschig und doch herzzerreißend! Eine wirklich tolle Entdeckung!
Zu erwähnen ist noch, dass in dem Band viele tolle Zeichnungen von Jana Damaris Rech sind und es dazu noch ein Bändchen gibt, dass sich "Reisejournal" nennt und einen noch tiefer in die Welt der Herbstlande führt. Es lohnt sich auf jeden Fall!
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