„Kein Erwachsener hatte uns aufgehalten. Auch später nicht. Nur einer hätte gereicht. Großer Gott, warum hat keiner etwas getan?“
Deutschland, Anfang der 1990er Jahre. Ein kühler Tag im Februar. Zwei Jungs, zehn und elf Jahre alt, entführen ein Kleinkind aus einem Einkaufscenter. Was als harmloser Spaß anfängt, entwickelt sich zu einem wahren Albtraum. Und plötzlich ist nichts mehr so, wie es einmal war.
Inspiriert von einem wahren Verbrechen.
Andreas Arimonts Das Flüstern des Teufels ist (erst) mein zweites Buch (mein erstes war seine Novelle Helter Skelter Redux) dieses Überraschungsautors…
…und bereits dieser Satz verrät zwei Dinge:
• Arimont scheint mich mindestens neugierig gemacht zu haben, da ich sonst kaum ein weiteres Werk von ihm gelesen hätte
und
• da ich ihn als "Überraschungsautor" tituliere, scheint er mich überzeugt zu haben.
Starten wir diese Impression also einfach von hinten und beginnen mit dem Ende: der Junge will nicht nur – der kann!
Und bei jemandem der kann, scheue ich auch keine Vergleiche…
…mit den "Großen":
die Intensität eines Jack Ketchum (RIP), die Kritik eines Wrath James White, die Charaktertiefe eines Stephen King und die Unerbittlichkeit eines Matthew Stokoe!
Das hätten wir also geklärt – dann könne wir ja zum Buch kommen…
Eine Interpretation basierend auf einer wahren Begebenheit, darf durchaus als mutiges und/oder gewagtes Unterfangen betrachtet werden. Automatisch stellt man sich dem Vergleich mit Ketchums Evil (Heyne, 2006; OT: The Girl next door). Ein solches Wagnis nun auch noch auf gerade einmal 141 Seiten zu komprimieren (nicht reduzieren!), macht die Sache ungleich komplexer.
Dieses Wagnis nun auch noch zu einer letztlich doppelten Hommage – für Dallas Mayr (aka Jack Ketchum) und eben natürlich auch sein grandioses Werk Evil – zu erdenken, schenkt der Komplexität noch einen diffizilen Charakter.
Gewissermaßen hat Arimont hier einen kleinen Geniestreich begangen – oder eben Kunst geschaffen.
Die Komplexität sich einem Geschehnis gewissermaßen biografisch anzunehmen, verbirgt sich in der Subjektivität, aus welcher es zu schöpfen gilt, die aber nicht das aqua vitae des Buchs sein darf – spätestens hier, trennt sich die Spreu vom Weizen.
Und genau hier setzt Arimont (dem Vorbild von Jack Ketchum folgend) an: er konzentriert sich auf das "Ist", ohne sich dem "Wenn" als Leibeigener hinzugeben, er fragt nicht, was nicht beantwortet werden kann, verliert sich nicht in Behauptungen und blinder Suggestion, sondern stellt die Möglichkeit einer Perspektive – nicht als bedingungslose Wahrheit, sondern entblößte Interpretation.
Fernab von Dramatik und Theatralik gewährt Arimont dem Moment eine Wahrhaftigkeit. So schreibt er keine Erzählung um oder über einen Augenblick, sondern lässt eben diesen Moment Geschichte schreiben.
Nichts ist schlimmer, als das Gestern – außer das Morgen…
Arimont weiß um das Privileg der Kunst, zu erreichen; zu berühren und, wenn es sein muss, auch zu schmerzen…
So hat er hier eine alte Wunde aufgerissen, hat nie vergessenes Blut wieder fließen lassen; hat mich erreicht, hat mich berührt, hat alten Schmerz entfacht – hat mich sein Privileg kosten lassen…
Das Flüstern des Teufels ist eine Hommage, ist eine Interpretation, ist eine Konzentration, ist ein Gedenken an Jack Ketchums Meisterwerk The Girl next Door (Warner Books, 1989; dt.: Evil, Heyne, 2006). Dabei sucht Arimont den Vergleich ebenso wenig, wie er ihn scheut: Jack Ketchum ist Arimonts größtest Vorbild – Das Flüstern des Teufels das Erbe, das er hiermit antritt.
Hier darf man etwas Großes beobachten – hier darf man Zeuge sein: denn der Weg, den Arimont eingeschlagen hat, wissen nur wenige für sich entdeckt zu haben.
So wünsche ich mir für ihn einen Verlag, der um die Zerbrechlichkeit seines Schaffens weiß und einen Lektor, der die nötige Leidenschaft besitzt einem Künstler zu begegnen – denn das ist Arimont fürwahr: ein Künstler.
Schreibe den ersten Kommentar