Gott ist tot?
Vielleicht will er einfach nicht gefunden werden.
Es gibt ihn, diesen Gott, der im Wasser schwimmt, der auf dem Wasser treibt und niemals untergeht, der allen, die am Ufer verharren, nachsieht und zuwinkt, es muss ihn einfach geben. Er scheint nah und zugleich fern, ein Schatten am Plafond, wie dunkel doch heut der Himmel ist, viel dunkler noch als die gekräuselte See, stumm die Fische darin und schwer sind ihre Bäuche.
Eine streng katholische Mutter – Zahnärztin mit eigener Praxis neben einer Stiftskirche in Wien und einem fanatischen Glauben, der die Bibel gefährlich wörtlich nimmt. Was macht das mit dem Sohn? Mit einem jungen Mann, der sich nach einem Vater sehnt und allerlei Begierden entwickelt, je älter er wird? Er wird zu einem Suchenden, vor allem nach dem Tod der Mutter. Zu einem Fahrenden in Sachen Gott, den er in Gotland zu finden hofft, jenem fernen Sehnsuchtsort der Mutter, die immer behauptete, dort hätte sie seinen Vater kennengelernt. Ein heiliger, jedoch auch unheimlicher, ja wahnsinniger Ort, der sich aufmacht unsere Welt zu verschlingen… sprachmächtig, abgründig und voller Aberwitz…
Aufmerksam geworden, auch wenn ich bei einem solchen Buch eigentlich lieber von "entdeckt" spreche – denn eben das ist es: eine Entdeckung, eine offenbarende Perzeption fernab jeglicher Selbstbestimmung, eine Erfahrung; frei – bin ich auf dieses Kleinod durch absoluten Zufall (womöglich Bestimmung?) auf der Leipziger Buchmesse 2017.
Alsbald war diese Aufmerksamkeit vergessen – eine Zeile als Erinnerung zwischen vielen anderen…
Durch einen weiteren Zufall (nun eben doch Bestimmung?) lockte mich auf der Frankfurter Buchmesse 2017 beim Stand vom Septime Verlag ein Buch, an welchem Michael Stavarič mitwirkte (Markus Orths, Marlen Schachinger, Michael Stavarič: Requiem – Fortwährende Wandlung) – und er begrub mich förmlich unter seiner Wucht, nur um mich als Phönix auferstehen zu lassen!
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht um die Komplementierung, welche Requiem – Fortwährende Wandlung letztlich für Gotland darstellte* – doch wusste ich um den Namen: Michael Stavarič.
“Gotland” musste umgehend in meinen Händen ein neues zuhause wissen!
…und hier beginnt die Reise.
Gotland erzählt die Geschichte von "ihm".
Berichtet das Wachsen und Fühlen, Zweifeln und Wissen, Lernen und Streben – die Geburt, wie die individuelle Inkarnation, das Sterben, wie die andauernde Reinkarnation.
Eine Welt durch die Augen eines Kindes (ganz gleich, welches Alter der Protagonist tatsächlich besitzt): dem Verständnis weicht die Interpretation.
Weniger als Vorwort, denn als Begrüßung, als Novelle für das nun (zu) Erlebende, beginnt die Reise.
In seiner beinahe schon typischen unbeschwerten Strenge des Wortes lässt Stavarič nun Gotland wachsen – lässt "sich" (Ich-Perspektive) entwickeln.
Wie nur wenige außer ihm, schafft er es, dass man nicht erlebt – vielmehr partizipiert man die Momenthaftigkeit; man begleitet nicht, man wird geführt.
Weniger Entwicklung, denn Entschluss; weniger Reise, denn Ankunft: ein Bekenntnis.
Das Ende wechselt nun; reißt schon beinahe harsch aus dem Traum in eine Sachlichkeit – mit allen Kanten, Ecken und (nötiger) Sterilität.
Ein Psychogramm als Summe der Unvermeidlichkeit.
Ein Zwinkern, welches nicht zuletzt dieser einen Träne einer sardonischen Allegorie geschuldet, öffnet zum Ende noch einmal Genesis – Beginn als Ende der (Un)Vermeidlichkeit.
Und hier kommt nun nicht die Kunst – vielmehr das Können, diese unbeschwerte (Ent)Gültigkeit, die Michael Stavarič für mich nicht zu einem "jungen Wilden", sondern einem "jungen Alten" werden lässt: das Wissen, um die Abkömmlichkeit der Stilistik – und hier, und eben so(!) lebt Literatur!
Denn wate ich inmitten der Simplifizierung, breche die Kunst zu einer deutbaren Begrifflichkeit (oder Möglichkeit), würde ich bei Gotland von einem Entwicklungsroman (gleichwohl soviel mehr) sprechen, was unweigerlich "Leben" impliziert und dadurch, mehr als nur facettenreich, derart mannigfaltig, grenzenlos ist, dass es nur Plural – Perspektiven, Stile – sein kann!
Stavarič fesselt nicht, er nimmt ein – weniger unbeschwert, als tatsächlich schwerelos wirkt er in einer Gnadenlosigkeit auf den Leser, welcher man nur mit einem schon beinahe devoten Masochismus zu begegnen weiß.
Es ist so unbedingt, wie er sich seiner eigenen Erzählung enteignet – dem Wissen geschuldet, dass nur der Gedanke, der frei sein darf, der eigene – der meine – sein kann…
Statt einer unbedarften Mixtur, findet man ein geflissentliches Geflecht aus Epik und Dramatik, welches weniger Anspruch hat, als diesen bietet – als diesen offenbart und sich so eben nicht selbst definiert, denn vielmehr unbeschreiblich macht.
Die Vielfalt, welche Gotland birgt, schenkt und bietet, blüht aus einem Surrealismus, welchen Stavarič nicht als Metapher vergessen, sondern als Faktum aufglimmen lässt, der Realität den Anspruch auf Wahrheit zu geben.
Ein Drama, das zum lachen einlädt, eine Satire, die trauriger kaum sein könnte, ein farbenprächtiges schwarz-weiß Gemälde, ein stummes Lied, ein Beziehungsroman der Einsamkeit, des Schlafes Bruder in welchem Adonai erwacht…
…nicht zu suchen – nur zu finden, nur zu wissen, nur zu glauben.
Wenn Kunst von Können kommt, so kommt Können von Stavarič!
[…] und sei es nur dem greifbaren Vergleich geschuldet, Parallelen – und fand mich zuweilen in Gotland (Michael Stavarič, Luchterhand Literaturverlag, 2017) wieder. Nicht als Analogie, doch als […]