Frank Friedrichs – Erntedank in Vertikow

Nach einem Motorradunfall sitzt Peer Wesendonk im Rollstuhl, mit seinem Job als Organist in Vertikow ist es vorbei. Ohne Aufgabe fühlt er sich nutzlos. Dann wird er Zeuge, wie die alte Frau Kuhn totgefahren wird – mit voller Absicht, da ist er sich sicher. Niemand glaubt ihm, Frau und Freunde warnen, er könnte mit seiner Theorie Unfrieden im Dorf stiften. Aber für Peer steht fest: Er muss den Mörder finden. Ob er der Rolle als Detektiv gewachsen ist?

 

Der Fairness halber sollte zuerst erwähnt werden, dass ich eigentlich keine Krimis lese – bzw. mich mit Krimis äußerst zickig anstelle.
In einem wunderbaren Fantasy-Roman neue Welten erobern, durch ein verschachteltes Sci-Fy-Erlebis, das Heute in Frage stellen, durch eine blutrünstige Horror-Novelle die Wohnung verbarrikadieren oder nassgeschwitzt durch einen actiongeladenen Thriller getrieben werden: alles das (und noch so einiges mehr) mache ich gerne mit; aber ein Krimi…

» Was zur Hölle interessiert mich bitte Mecklenburg-Vorpommern
und eine fiktive Stadt namens "Vertikow"?! «

Also abgesehen von Peer Wesendonk, der nach seinem Motorradunfall an den Rollstuhl gefesselt ist…

» Aber is‘ ja auch egal – wie gesagt: Krimis sind nicht so meins! «

…und sich eigentlich bei der guten Frau Kuhn doch nur bedanken wollte, dass sie ihm heute Nachmittag wahrscheinlich das Leben gerettet hatte – und jetzt miterleben musste, wie sie kaltblütig überfahren wurde!

» Nun ja, wie auch immer: Krimis eben – muss man halt mögen… «

Naja… also, dass ihm jetzt keiner glaubt, obwohl er Augenzeuge war hat mich ja schon ein wenig aufgeregt. Und Frau Dr. Martensen, die ansässige Ärztin, verhält sich auch äußerst merkwürdig. Nur gut, dass Sascha, Peers Frau, ihn ein wenig auf dem Boden der Tatsachen hält – oder es zumindest versucht.

» Vielleicht sind Krimis ja doch nicht ganz so… «

…wie zum Beispiel jetzt auch noch Andrea in Peers Leben tritt, während er nicht nur mit seiner Behinderung zu kämpfen hat, sondern scheinbar als einziger merkt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt! Die verborgenen Intrigen, die hinter den verzierten Vorhängen lauern, die Gerüchte und Geschichten, die hinter jeder Ecke darauf warten weiter getragen zu werden…

Eingangs erwähnte ich, dass ich eigentlich keine Krimis lese – Frank Friedrichs hat sich nun augenscheinlich genau diesem „eigentlich“ angenommen und meine kleine Welt ein wenig aus den Angeln gehoben: mit diesem Buch, werde ich zum überzeugten Krimi-Leser!

Wie in einem wunderbaren Fantasy-Roman, lässt Frank Friedrichs den Leser Vertikow erobern, wie in einem verschachtelten Sci-Fy-Erlebnis, stellt man durch die Beziehungsgeflechte den angeglaubten Moment in Frage, wie in einer blutrünstigen Horror-Novelle, verbarrikadiert man sich, aufgrund seiner verschiedensten Rückschlüsse und Annahmen, in der Wohnung und wie in einem actiongeladenen Thriller, wird man quer durch Vertikow getrieben, um sich nassgeschwitzt auf dem Leseplatz wiederzufinden; und das alles mit einem Krimi!

Frank Friedrichs schenkt mit Erntedank in Vertikow dem geneigten Leser ein Debüt, wie man es vielleicht nur aus dem DichtFest-Verlag erwarten darf: unglaublich viel Leidenschaft, Herzblut und Hingabe vereint sich hier zu einer herrlichen Mixtur aus Hommage und Persiflage auf das Dorfleben!
Wer auch immer schon einmal das (durchaus fragliche) Vergnügen hatte, sich mit der verborgenen Komplexität einer anscheinenden Dorfidylle auseinandersetzen zu müssen, wird sich hier mit einem breiten Schmunzeln im Gesicht wieder finden! So forciert Friedrichs keine Klischees, sondern umgarnt förmlich die dörfliche Verschrobenheit, ohne dabei darüber richten zu wollen. Einfach herrlich!

Was nun Friedrichs aber wirklich ausmacht, ist die Charakterentwicklung: er versteht es mit wenigen Worten nicht nur Gesichter zu schenken, sondern vor allem Beziehungen aufzubauen – sei es zwischen den Protagonisten und dem Leser oder den Protagonisten untereinander!
So schafft er binnen weniger Seiten bereits eine lebendige Welt, in diesem Fall eben Dorf, in welchem man sich selbst alsbald als Einwohner sieht.

Gerade die Behinderung seiner Hauptfigur, Peer Wesendonk, verarbeitet er äußerst geschickt – er erschafft hier einen faszinierenden Antihelden, der gerne an Agatha Christie denken lässt.
Friedrichs verliert sich dabei nicht in Tränenflüssen, wenn er auf die Behinderung seiner Hauptfigur eingeht, sondern weiß diesen anhaltenden Kampf mit einer beinahe erschütternden Natürlichkeit darzustellen – sei es die Depression, die still in seinem Schatten wohnt, sei es die Erwartungshaltung, die er an sich und seine Umwelt stellt oder die stellenweise Akzeptanz, die ihn aus dem Sardonismus in eine spitzbübische Ironie führt.

Bis zum Ende weiß Frank Friedrichs den Spannungsbogen gespannt, nie aber überspannt, zu halten – er füttert den Leser mit immer neuen Theorien, die dazu führen, dass man zum Schluss letztlich das ganze Dorf unter Verdacht hat.
Das Ende ist durchaus überraschend, nicht jedoch ungebührend pompös. Es deckt auf, ohne zu verschrecken – hier zeigt sich, dass "Kunst" von "Können" abstammt: großes künstlerisches Können!

Erntedank in Vertikow ist ein herrlich spannender, liebevoll humoristischer und unglaublich leidenschaftlicher Krimi, wie man ihn aus deutschen Landen nicht vermuten würde – Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyle tanzen gemeinsam über die mecklenburg-vorpommerischen Felder.

Selten durfte ich das schrullige Dorfleben so herrlich persifliert erleben!
Ich freue mich auf die nächsten Fälle von Peer Wesendonk!

 

 

Frank Friedrichs - Erntedank in Vertikow

 

Autor:
Titel:
Auflage:
1. Auflage
(2016)
Seitenzahl:
302 Seiten
Verlag:
Ausgabe:
Taschenbuch
ISBN:
978-3-946937-20-3

 

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Verfasst von:

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